Wesentliche Anfangsschritte in einer LeSS Adoption sind neben Bildungsmaßnahmen die gemeinsame Erarbeitung der (möglichst weit gefassten) Produktdefinition sowie daran anschließend die Bildung von Feature Teams mit der Feature Team Adoption Map sowie in einem Self-designing Teams Workshop. Dabei ist auch in LeSS die methodische Beratung valider Bestandteil der Adoption. Die Rolle des Agile Coach wird hier jedoch aufgeweicht und tendenziell in zwei anderen Rollen abgebildet.

Feature Team Adoption Map (less.works)

Zunächst folgt LeSS dem Scrum Guide und betont den Coaching-Anteil der Scrum Master Rolle für die Organisation. Da der Scrum Master die Ownership seines bzw. seiner Teams mit ihrem Prozess und ihrer Team Charter treibt, wird die Abhängigkeit des Teams von ihm kontinuierlich erodiert und dank seiner Vollzeitrolle kann er sich zunehmend darum kümmern kann, die Einflusssphäre des Teams auszuweiten und die Definition of Done um strategische Aspekte bzw. Arbeitsschritte zu erweitern. Dies kann freilich nur funktionieren, wenn die Rolle des Scrum Masters tatsächlich mit einem “Master” besetzt ist.

Die zweite Rolle, durch die der Agile Coach teilweise abgelöst wird, ist die des Organisational Design Coach, wobei es sich effektiv gesehen um den LeSS Coach handelt. Der Organisational Design Coach sollte seine Beauftragung von der Unternehmensführung erhalten. Seine wesentliche Aufgabe ist die Begleitung des Klienten auf seinem Weg zur “Deskalierung” (descaling) bzw. Vereinfachung der vorhandenen Unternehmensstruktur. Zur Messung dieser Vereinfachung gibt es durchaus allgemeingültige Kenngrößen, etwa

  • die Anzahl der Rollen im Unternehmen, deren Beitrag zur Produktentwicklung nicht unmittelbar erkennbar ist
  • die Anzahl der Personen in der Produktentwicklung, die außerhalb der Teams angesiedelt sind
  • der Handlungsspielraum der Scrum Master, die Teams in ihrer Reise von der Selbstorganisation (self-organisation) über die Selbstverwaltung (self-managing) bin hin zur Selbstführung (self-governing) aktiv zu begleiten
  • das Ausmaß und die Bedeutung von Reporting Mechanismen bei der Erreichung der Geschäftsziele.

Die Effektivität des LeSS-Beraters wird weniger daran gemessen, inwieweit er die Elemente des Frameworks vermittelt hat – der Beratungsanspruch liegt vielmehr darin, ausgehend von den Warum? Fragen den Kunden erfolgreich dahin geführt zu haben, über die systemische Dynamik seiner Organisation zu reflektieren, sein Systemoptimierungsziel daraus abzuleiten sowie dieses schließlich zu “besitzen”. Zugrunde gelegt wird hierbei die Dichotomie “owning vs. renting”. Eine agile Transition ohne eine vorgeschaltete tiefgehende systemische Reflexionsphase führt unweigerlich zu einem Cargo-Cult Szenario bzw. zur dysfunktionalen Symptomatik, die in LeSS als Renaming Game bezeichnet wird.

Methodisch propagiert LeSS als probate Beratungstechnik die Verwendung von Causal Loop Diagrams, die sich auch exzellent für den Coaching-Ansatz eignet. Ausgehend von der Identifikation der relevanten Systemvariablen kann der Klient über die kausalen Zusammenhänge sein Systemoptimierungsziel erkennen. Die Modellierung der kausalen Zusammenhänge hilft nicht nur dabei, den Überblick zu behalten, sondern auch Handlungsoptionen zu eruieren, welche der Überprüfung im Hinblick auf lokale Optimierung standhalten.

Beispiel für ein Causal Loop Diagram (less.works)

Zusammenfassung

LeSS bietet ein methodisches Ökosystem um Scrum effektiv im Kontext der Produktentwicklung unternehmerisch skalieren zu können. Dabei wird die Erreichung der Systemoptimierungsziele wesentlich durch ein Weglassen von Elementen getrieben. Was für Scrum gilt – einfach zu verstehen, aber schwierig zu implementieren – gilt für skaliertes Scrum umso mehr.

Dynamik zwischen Weglassen und Gewinnen (Quelle: Elad Sofer, CLT)